„Fit for 55“ –
Der europäische Wasserstoff- und Gasmarkt der Zukunft

04. April 2024

Kommission, Rat und Parlament haben sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen des zukünftigen europäischen Wasserstoff- und Gasmarkts geeinigt. Die Neuregelungen sind Teil des “Fit for 55”-Pakets, einer Reihe von Gesetzesvorhaben, mit denen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% reduziert werden sollen, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Geplant ist eine Neufassung der EU-Gasmarkt-Richtlinie (2009/73/EG) und -Verordnung (EG Nr. 715/2009). Mit Abschluss des Trilogs ist nun der Weg für die formelle Verabschiedung des Gaspakets geebnet.

Ziel der geplanten Neuregelungen ist die Dekarbonisierung des EU-Gasmarktes durch den Übergang zu erneuerbaren und kohlenstoffarmen Gasen, insbesondere Wasserstoff. Das soll im Wesentlichen durch folgende Maßnahmen erreicht werden:

I. Die Schaffung eines Wasserstoffmarkts,
II. die Integration erneuerbarer und kohlenstoffarmer Gase in das bestehende Gasnetz,
III. der Ausbau der Mechanismen zur Gewährleistung einer sicheren Energieversorgung und
IV. Regelungen zum Verbraucherschutz.

I. Gasrichtlinie – Anpassung des Wasserstoffmarkts an den status quo

In der bereits Ende November beschlossenen neuen Gasrichtlinie wird das Marktdesign durch Bestimmungen zu Eigentumsstrukturen, Verbraucherschutz und Netzentwicklungsplänen festgelegt.

 

  1. Integrierte Netzplanung
    Grundsätzlich wird eine integrierte Netzplanung für Gas und Wasserstoff angestrebt. Vor allem auf Ebene der regionalen Verteilung ist eine stärkere Koordinierung zwischen den Netzentwicklungsplänen für Wasser, Strom und Erdgas vorgesehen. Dabei soll Wasserstoff vorrangig in Sektoren eingesetzt werden, die schwer zu dekarbonisieren sind. Auf Fernleitungsebene soll es den Mitgliedstaaten offenstehen, ob sie eine gemeinsame nationale Planung für Gas und Wasserstoff oder zwei getrennte Pläne aufstellen.
  2. Verbraucherschutz
    Für den Verbraucherschutz sollen insbesondere Maßnahmen zu Preistransparenz und gestärkte Informationsrechte sorgen. Verbraucher sollen außerdem vor Versorgungsunterbrechungen und Energiearmut geschützt werden. Zudem wurden Regelungen für die Erleichterung eines Versorgerwechsels getroffen.
  3. Entflechtungsregelungen für Wasserstoffnetze
    Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission, der unter anderem komplizierte und kostenintensive Vorgaben für eine vertikale bzw. horizontale Entflechtung von Wasserstoffnetzen vorsah, ist an schwerer Kritik auch aus Deutschland gescheitert. Vor allem die Stadtwerke wären als vertikal integrierte Infrastrukturbetreiber stark betroffen gewesen, sodass die geplanten Regelungen in Deutschland einen Umstieg auf Wasserstoff wirtschaftlich unattraktiv gemacht hätten. Stattdessen wurden die Entflechtungsregeln für Wasserstoffnetzbetreiber nun an die bestehenden Regelungen des Strom- und Gasmarkts angeglichen. Die Mitgliedsstaaten können selbst entscheiden, ob sie Gasnetzbetreiber mit weniger als 100.000 Kunden von der Pflicht befreien, über ein separates Unternehmen in Wasserstoffnetze zu investieren.
II. Gasverordnung – Integrierte Netzplanung vs. Unabhängiger Wasserstoffmarkt

Die nun im Dezember beschlossene Gasverordnung konkretisiert weitere Elemente des zukünftigen europäischen Wasserstoff- und Gasmarkts.

 

  1. Nationale Netztarife für den Wasserstoffmarkt
    Die Netztarife für den Wasserstoffmarkt sollen durch nationale Regulierungsbehörden festgelegt werden. Dabei ist eine Konsultation der benachbarten Regulierungsbehörden und eine Vorlage an die Agentur für Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) vorgesehen. Außerdem soll der bestehende Mechanismus für die Nachfragebündelung und gemeinsame Beschaffung von Gas ausgeweitet werden, wobei die Beteiligung der Gasunternehmen freiwillig bleibt.
  2. Unabhängige EU-Einrichtung für Wasserstoffnetzbetreiber?
    Eine zentrale Veränderung stellt die Einrichtung einer neuen EU-Aufsichtsstruktur für Wasserstoffnetzbetreiber (ENNOH) dar. Diese soll unabhängig von den bestehenden europäischen Verbände für Strom (ENTSO-E) und Gas (ENTSOG) operieren, um einer Marktverzerrung durch die etablierten Gasunternehmen entgegenzuwirken.
    Im Ergebnis wird dabei aber eine enge Kooperation der Sektoren angestrebt. So wurde zur Stärkung der Verbindung zwischen Gas und Wasserstoff beschlossen, dass 2026 ENNOH und ENTSOG gemeinsam einen Zehnjahresplan für die Wasserstoff-Netzentwicklung erarbeiten werden. 2027 können dann Gasunternehmen einen Teil ihrer Pipelines zur Umrüstung auf Wasserstoff in die ENNOH einbringen. Erst ab 2028 soll die ENNOH dann unabhängig arbeiten.
    Diese Bestimmungen stellen einen Kompromiss zwischen dem Ziel einer integrierten Netzplanung einerseits, und der Begründung eines unabhängigen Wasserstoffmarkts andererseits dar. Der Einfluss der ENNOH beim Aufbau des europäischen Wasserstoffmarktes bleibt somit abzuwarten. Bis zur Einrichtung der ENNOH werden die Entwicklungen auf dem Wasserstoffmarkt wohl durch die Gasindustrie und nationalen Einrichtungen bestimmt werden.
III. Fazit

Es zeichnet sich ab, dass sich die EU-Institutionen im Ergebnis gegen eine strukturelle Entkopplung des Gas- und Strommarkts entschieden haben. Die Zukunft des europäischen Wasserstoff- und Gasmarkts ist zunächst eine gemeinsame, wobei Wasserstoff in die bestehenden Regelungen für den Gasbinnenmarkt integriert wird.

Offen bleibt aber vor allem die Definitionsfrage: Was bedeutet „kohlenstoffarm“? Der Delegierte Rechtsakt, mit dem dies (rechtlich) geklärt werden soll, wird wohl erst zwölf Monate nach Verabschiedung des Gaspakets finalisiert.  Eine einheitliche Terminologie ist aus zwei Gründen wichtig: Eine Öffnung des Marktes für Wasserstoff aus fossilem Erdgas oder Atomstrom liefe dem Ziel zuwider, den Markt zu dekarbonisieren. Zudem können ohne eine einheitliche Terminologie keine handelbaren Herkunftsnachweise für erneuerbare und dekarbonisierte Gase in den Markt eingeführt werden, was zu einer Hemmung des Handels mit Wasserstoff führen würde.

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