Haftung von Vorständen und Geschäftsführern

08. Mai 2020

I. Einleitung

Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaft im Griff und wirkt sich auf Unternehmen jeglicher Größe aus. Dabei ist es die Aufgabe der Geschäftsführer und Vorstände, die Leitentscheidungen in der Krise zu treffen. Sie werden damit vor die nicht leichte Aufgabe gestellt, das Unternehmen durch eine unstete See zu steuern. Die Entwicklungen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie sind schwer vorauszusehen. Prognosen ändern sich fortlaufend. Entscheidungen werden erzwungenermaßen auf einer unsicheren Tatsachenbasis gefällt. Unternehmerische Entscheidungen können sich in der Rückschau als für das Unternehmen nachteilig herausstellen.

Für die Geschäftsführer und Vorstände ist damit (neben Reputationsverlust sowie in – Extremfällen – möglichen strafrechtlichen Konsequenzen) ein konkretes Haftungsrisiko verbunden. Dieses Haftungsrisiko darf jedoch gerade in Krisensituationen wie der Corona-Pandemie die Entscheidungsträger nicht lähmen. Durch die business judgement rule (vgl. § 93 Abs. 1 AktG und § 43 Abs. 1 GmbHG) wird das Haftungsrisiko der Geschäftsführer und Vorstände reduziert, indem sie unter bestimmten Voraussetzungen einen Ermessensspielraum einräumt, innerhalb dessen die Geschäftsführer und Vorstände keiner Haftung gegenüber dem Unternehmen ausgesetzt sind. In Krisenzeiten hat sie besondere Bedeutung.

 

II. Die Business Judgement Rule

Die business judgement rule stellt Geschäftsführer und Vorstände für die betreffende Entscheidung von einer Haftung frei, wenn sie eine unternehmerische Entscheidung (1.) auf einer angemessenen Informationsbasis (2.) zum Wohle der Gesellschaft fällen (3.) und die Sorgfalt eines gewissenhaften Geschäftsleiters beachtet wird (4.). Alle Aspekte verdienen im Hinblick auf die Corona-Pandemie besondere Beachtung.

  1. Unternehmerische Entscheidung

Eine unternehmerische Entscheidung ist grundsätzlich jede Entscheidung der Geschäftsführer oder Vorstände, welche die Führung der Geschäfte des Unternehmens betrifft und sich dadurch auszeichnet, dass der Entscheidungsträger rechtlich und tatsächlich zwischen mehreren Handlungsalternativen wählen kann. Dabei ist auch die aktive Entscheidung zur Untätigkeit (anders als die bloße Untätigkeit) eine wählbare Entscheidungsalternative.

Unternehmerischen Entscheidungen wohnt in der Regel ein Prognosecharakter inne. Der Entscheidungsträger weiß zum Zeitpunkt der Entscheidung oftmals nicht sicher, welche Alternative für das Unternehmen am besten ist. Er muss die nach seiner Einschätzung beste Alternative wählen.

Auch in Zeiten der Corona-Pandemie stehen Unternehmen – wie generell in Krisenzeiten – vor einer Vielzahl unternehmerischer Entscheidungen. Relevante Entscheidungen sind unter anderem die Reduzierung oder Umstellung der Produktion, die Aufnahme von Krediten, die Reduzierung von Investitionen, die Umstellung auf Kurzarbeit, eine Inanspruchnahme staatlicher Hilfen, die Anpassung von Verträgen oder der Abbruch von M&A-Transaktionen, aber auch die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung oder die Verschiebung der Hauptversammlung aufgrund des im März verabschiedeten Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht („Corona-Gesetz„). Zum Thema Hauptversammlungen in der Corona-Pandemie verweisen wir auch auf den « Beitrag unserer Kollegen Dr. Jörn-Christian Schulze und Nima Hanifi-Atashgah ».

Eine unternehmerische Entscheidung liegt jedoch nur vor, wenn der Entscheidungsträger in seiner Entscheidungsfindung grundsätzlich frei ist. Generell ausgenommen von der business judgement rule sind daher gebundene Entscheidungen, mithin solche Entscheidungen, die durch Gesetz oder Satzung vorgegeben sind. Mit Blick auf die Pandemie ist vor allem an arbeitsschutz- und insolvenzrechtliche Vorgaben zu denken. Hinsichtlich der Möglichkeit zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Corona-Gesetz verweisen wir auf den « Beitrag unseres Kollegen Johannes Landry ».

  1. Schaffung einer angemessenen Informationsgrundlage

Eine Haftungsfreistellung durch die business judgement rule kommt nur in Betracht, wenn das Management die getroffene Entscheidung umfassend vorbereitet hat. Die Schaffung einer angemessenen Informationsgrundlage ist essentiell für die Anwendung der business judgement rule. Nur bei einer ausreichenden Informationsgrundlage ist eine gewissenhafte Entscheidung zwischen mehreren Alternativen möglich. Zu ermitteln sind vor allem der unternehmerische Nutzen der Entscheidung, aber auch ihre Kosten sowie rechtliche und tatsächliche Risiken, mit der Entscheidung verbundene langfristige Möglichkeiten bzw. Entwicklungen, Auswirkungen auf die Marktposition sowie die Reputation der Gesellschaft. Die Informationen sind jeweils zu allen in Betracht gezogenen Alternativen zu sammeln, um auf dieser Grundlage eine Abwägung vorzunehmen.

Im Rahmen der Corona-Pandemie problematisch ist freilich, dass die Schaffung einer angemessenen Informationsgrundlage langwierig sein kann. Es besteht grundsätzlich die Pflicht, alle zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu nutzen. Allerdings richtet sich Angemessenheit der Informationsgrundlage nach der konkreten Situation. Es ist daher eine Kosten-Nutzen-Analyse hinsichtlich einer weiteren Informationsbeschaffung erlaubt. Dringlichkeit und Bedeutung der Entscheidung für das Unternehmen sind wesentliche Elemente dieser Analyse. Wenn eine Entscheidung eilbedürftig ist, weil dem Unternehmen sonst schwerer Schaden droht, und eine zusätzliche Informationsbeschaffung wahrscheinlich keine neuen Erkenntnisse liefert, entspricht es der Sorgfalt eines gewissenhaften Geschäftsleiters, die Informationsbeschaffung knapp zu halten, um das Unternehmen nicht weiter zu gefährden. Die Kosten-Nutzen-Analyse stellt das Management aber keinesfalls insgesamt von einer Informationssammlung frei. Ein gewissenhafter Geschäftsleiter wird sich daher die Frage zu stellen haben, ob er in der konkreten Situation eine ausreichende Informationsbasis geschaffen hat, um eine Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft treffen zu können.

Ein weiteres Problem der Pandemie ist, dass die Informationsgrundlage oft ihrerseits aus Prognosen besteht. Erkenntnisse sind vielfach noch nicht gesichert, auch weil sich Quellen widersprechen oder ihre Belastbarkeit fraglich erscheint. Eine abschließende Abschätzung der Auswirkungen der Krise ist daher in vielen Fällen nicht in belastbarer Weise möglich.

Die Prognoselastigkeit der zugrundeliegenden Informationen schließt eine Anwendung der business judgement rule jedoch nicht aus. Sofern keine anderen Informationen zur Verfügung stehen, dürfen Entscheidungen daher auf Prognosen gestützt werden. Im Ergebnis kommt es darauf an, ob man vernünftigerweise davon ausgehen durfte, auf einer hinreichenden Grundlage zu handeln.

  1. Entscheidungen im Unternehmensinteresse

Nur eine Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft kann zu einer Haftungsfreistellung über die business judgement rule führen. Der Entscheidungsträger darf die Entscheidung daher allein am Unternehmensinteresse ausrichten. Die Entscheidung muss aus der ex-ante-Betrachtung das Unternehmen stärken und diesem dienen. Als absolute Grenze dürfen keine Maßnahmen ergriffen werden, die dem Unternehmen schaden oder dieses im Bestand gefährden. Die Ausrichtung auf das Unternehmenswohl bedeutet zugleich auch, dass sich sachfremde Erwägungen wie beispielsweise Sonder- oder Eigeninteressen des Entscheidungsträgers nicht auf die Entscheidung auswirken dürfen.

Zu beachten ist, dass die Entscheidung nicht in der Rückschau auf Basis der im Nachhinein vorliegenden Informationen (ex post) überprüft wird. Vielmehr wird darauf abgestellt, ob der Entscheidungsträger zum Zeitpunkt der Entscheidung auf Grundlage der zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich verfügbaren Informationen darauf vertrauen durfte, auf angemessener Informationsgrundlage zum Wohle des Unternehmens zu handeln (ex ante). Praktisch besteht allerdings das Risiko, dass man nachträglich immer über mehr Wissen verfügt. Es ist daher wichtig, die zugrunde gelegten Informationen, die Alternativen und den Abwägungsprozess umfassend zu dokumentieren.

  1. Anwendung der Sorgfalt eines gewissenhaften Geschäftsleiters

Aufgrund dieser Eilbedürftigkeit und der Prognoselastigkeit gibt es meist nicht nur die eine richtige Entscheidung. Der Ermessenspielraum eröffnet typischerweise verschiedene Möglichkeiten, lässt insbesondere die Entscheidung, ob ein risikoreicher oder vorsichtiger Ansatz gewählt wird. Erforderlich, aber auch ausreichend ist daher, dass die Entscheidung mit der Sorgfalt eines gewissenhaften Geschäftsleiters getroffen wird. Der Entscheidungsträger muss das Für und Wider der Alternativen abwägen. Es muss aber nicht der risikoärmste Weg gewählt werden. Die Entscheidung darf im Ergebnis nicht schlechthin unvertretbar sein. Ferner muss der Entscheidungsträger im guten Glauben handeln, die richtige Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft zu treffen.

 

III. Praxisbeispiele

  1. Liquiditätssicherende Maßnahmen

Besondere Relevanz erlangen infolge der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie liquiditätssichernde Maßnahmen. Liquide Mittel eines Unternehmens und Handlungsspielräume können durch krisenbedingt stockende Nachfrage oder Produktion schrumpfen. Das kann in letzter Instanz zur Insolvenz des Unternehmens führen. Als liquiditätssichernde Maßnahmen kommen beispielsweise die Stundung von Schulden (u.a. Miet-, Liefer- oder Kreditverbindlichkeiten), die Aufnahme neuer Kredite, Kurzarbeit oder die Beantragung von Staatshilfe in Frage.

Ob liquiditätssichernden Maßnahmen ergriffen, insbesondere externe Hilfen in Anspruch genommen werden, ist eine Entscheidung, die grundsätzlich der business judgement rule unterfällt. Dem Entscheidungsträger stehen mehrere Optionen offen, deren Wirkung sich in der Regel zumindest nicht in jedem Detail vorhersagen lässt. Die Grenzen der business judgement rule sind jedoch überschritten, wenn der Liquiditätsengpass des Unternehmens so offensichtlich ist, dass der Entscheidungsträger aufgrund von gesetzlichen Vorgaben (bspw. Insolvenzantragspflicht) oder speziellen Satzungsvorschriften oder Gesellschafterbeschlüssen zu einem bestimmten Handeln verpflichtet ist. Dann liegt eine gebundene Entscheidung vor, die nicht in den Anwendungsbereich der business judgement rule fällt. Gleichermaßen ist der Entscheidungsträger nicht von der business judgement rule geschützt, wenn die Entscheidung das Unternehmen in seinem Bestand gefährdet oder ihm schadet. Die Unternehmensgefährdung ist als eine absolute Grenze zu verstehen. Sind die finanziellen Spielräume des Unternehmens eng, kann es daher beispielsweise zum Wohl des Unternehmens zwingend geboten sein, liquiditätssichernde Maßnahmen wie die Aufnahme von Krediten durchzuführen.

Wie vor jeder unternehmerischen Entscheidung ist zunächst eine angemessene Informationsgrundlage zu schaffen. Dafür sind vor allem Informationen zur Liquiditätslage des Unternehmens und deren künftige Entwicklung, der Einfluss der in Betracht gezogenen Maßnahme auf die künftige Liquiditätslage des Unternehmens, die wirtschaftliche Entwicklung im Tätigkeitsfeld des Unternehmens, Rückzahlungsmodalitäten, Kosten und Auswirkungen auf die Unternehmensreputation relevant.

Es handelt sich um Prognoseentscheidungen. Es gibt nicht die eine richtige Entscheidung. Wichtig ist die nachvollziehbare Abwägung, die am Wohl des Unternehmens ausgerichtet ist. Der Umstand, dass die Dauer der Einschränkungen aufgrund der Pandemie sowie die Dauer und der Umfang der damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen auch derzeit noch nicht absehbar ist, stellt ein starkes Argument dafür dar, dass solche Maßnahmen der business judgement rule unterfallen können, sofern das Unternehmen anderenfalls in wirtschaftliche Schieflage gerät.

  1. Zurückhaltung von Investitionen

Die unvorhersehbare Entwicklung der Pandemie stellt ebenso unternehmerische Investitionen in Frage. Investitionsentscheidungen sind grundsätzlich unternehmerische Entscheidungen, die in den Anwendungsbereich der business judgement rule fallen.

Wesentliche einzuholende Informationen sind die Einsparungen durch ausbleibende Investitionen sowie ein etwaiges Erfordernis Umwandlung der Investitionsmittel in ein Finanzpolster, aber zugleich auch die langfristigen negativen Folgen der ausbleibenden Investitionen.

Vor- und Nachteile der Investitionsentscheidung in der Krise sind gegenüberzustellen. Der Umstand, dass ein Zurückhalten der Investitionsmittel risikoärmer ist, führt nicht dazu, dass nur diese Entscheidung getroffen werden darf. Die business judgement rule erlaubt Risiko. Eine Grenze findet sich auch hier, wenn das Unternehmen durch die Entscheidung geschädigt oder in seinem Bestand gefährdet wird. So ist eine Entscheidung für eine Investition nicht von der business judgement rule gedeckt, wenn das Unternehmen dadurch sicher wirtschaftlich überfordert wird.

  1. Nichtaufnahme bzw. Abbruch einer M&A-Transaktion

Die Pandemie kann sich ebenso auf geplante oder laufende M&A-Transaktionen auswirken. Im Vordergrund steht hier die Frage nach dem Abbruch einer Transaktion. Gleichermaßen ist an die Konstellation zu denken, dass sich gerade aufgrund der Pandemie eine Opportunität für eine Transaktion ergibt.

Sofern die Geschäftsführung oder der Vorstand aufgrund der Pandemie eine Transaktion abbrechen will, liegt die erste Weichenstellung darin, ob das Unternehmen als Käufer oder Verkäufer auftritt. Die Informationsgrundlage unterscheidet sich je nach Blickwinkel.

Auf Verkäuferseite steht vor allem die Möglichkeit eines höheren Verkaufserlöses durch einen späteren Verkauf, aber auch die Kosten durch eine weitere Inhaberschaft des Unternehmens sowie etwaige Wertverluste des zu verkaufenden Unternehmens im Fokus. Auf Käuferseite stehen die Auswirkungen der Krise auf den Betrieb des zu erwerbenden Unternehmens sowie die zukünftige Entwicklung des Unternehmenskaufpreises im Mittelpunkt. Auf beiden Seiten sind ferner Reputationsschäden sowie Schadensersatzansprüche bei Abbruch der Transaktion zu berücksichtigen.

Die Entscheidung muss sich am Wohl des Unternehmens ausrichten. Übernimmt sich der Käufer mit einem Erwerb sicher und gefährdet er das eigene Unternehmen im Bestand, ist dies ein starkes Argument dafür, dass die Entscheidung, die Transaktion nicht fort- oder durchzuführen, von der business judgement rule gedeckt ist.

Sofern sich ein Unternehmen hingegen für einen Unternehmenskauf entscheidet, sollte der Entscheidungsträger sich mit Blick auf die mit der Pandemie verbundenen Unsicherheiten für hinreichende Schutzmechanismen gegen die möglichen Auswirkungen der Pandemie im verhandelten Kaufvertrag einsetzen (bspw. besondere Rücktrittsrechte) und dies auch hinreichend dokumentieren. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Schutzmechanismen nicht oder nur zum Teil durchzusetzen sind. Werden keine Schutzmechanismen im Kaufvertrag geregelt, kann dies bedeuten, dass eine Fortführung der Transaktion grundsätzlich nicht dem Wohl der Gesellschaft und der Sorgfalt eines gewissenhaften Geschäftsleiters entspricht. Es bestünde für den Entscheidungsträger bei der Durchführung der Transaktion mithin ein Haftungsrisiko. Im Zweifelsfall kann für den Entscheidungsträger das Fehlen von Schutzmechanismen daher sogar einen Dealbreaker darstellen.

Die Entscheidung für oder gegen die Vornahme eine Transaktion ist keine Entscheidung, die einmal getroffen unumstößlich feststeht. Es entspricht vielmehr der Sorgfalt eines gewissenhaften Geschäftsleiters, die Entscheidung fortlaufend zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. So ist im Falle der Entscheidung für eine Transaktion zu prüfen, ob es vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse zur Pandemie für das Unternehmen doch noch sinnvoller ist, die Transaktion abzubrechen. Diese Entscheidung kann von der business judgement rule gedeckt sein, selbst wenn die ursprüngliche Entscheidung für die Durchführung der Transaktion ebenso von der business judgement rule gedeckt war oder die Transaktion schon sehr weit fortgeschritten ist. Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall. Hat man sich aufgrund der Pandemie gegen die Fortführung einer Transaktion entschieden, ist fortlaufend zu prüfen, ob die Transaktion in Folge künftiger Änderungen der Situation zum Wohle des Unternehmens wieder aufgenommen werden sollte.

  1. Verschiebung der Hauptversammlung vs. Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung

Durch Art. 2 §   Abs. 1 des Corona-Gesetzes kann der Vorstand unter bestimmten Voraussetzungen entscheiden, dass eine virtuelle Hauptversammlung durchgeführt wird, auch wenn keine entsprechende Satzungsregelung existiert. Auf der anderen Seite gibt es die Möglichkeit, die Hauptversammlung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Die grundsätzliche unternehmerische Entscheidung besteht daher in diesem Fall in der Frage, ob eine virtuelle Hauptverhandlung zum jetzigen Zeitpunkt oder eine physische Hauptverhandlung zu einem deutlich späteren Zeitpunkt sinnvoller ist.

Zur Informationsgrundlage gehört vor allem die Prognose, ob eine physische Hauptversammlung im laufenden Kalenderjahr noch wahrscheinlich durchgeführt werden und welchen Beschränkungen (bspw. Anforderungen an die Raumgröße und den Abstand, Einlassbestimmungen) sie unterliegen kann. Auf der anderen Seite ist zu prüfen, ob eine virtuelle Hauptversammlung aktuell sogar erforderlich ist, weil zwingende Entscheidungen zu fällen sind.

Vor dem Hintergrund der nicht abzusehenden Länge der Pandemie und der damit einhergehenden Beschränkungen lässt sich vertreten, dass eine physische Hauptverhandlung ohne Beschränkungen im laufenden Kalenderjahr unwahrscheinlich ist, insbesondere wenn sich um große börsennotierte Unternehmen handelt. Unterstützt wird eine Entscheidung für eine virtuelle Hauptverhandlung durch eine Notwendigkeit von zwingenden Entscheidungen der Hauptversammlung, bspw. Beschlüsse über erforderliche Satzungsänderungen oder Kapitalmaßnahmen. Die Entscheidung über eine virtuelle Hauptversammlung hängt somit auch von den gewählten Tagesordnungspunkten ab.

Die bloße Entscheidung über eine Gewinnausschüttung reicht jedoch beispielsweise nicht aus, um die Notwendigkeit einer zeitnahen virtuellen Hauptverhandlung zu begründen. Art. 2 § 1 Abs. 4 des Corona-Gesetzes räumt nämlich dem Vorstand das Recht ein, Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn an die Aktionäre zu beschließen. Zu beachten ist, dass auch die Entscheidung über eine solche Abschlagszahlung wiederum eine Entscheidung ist, die der business judgement rule unterfällt.

IV. Fazit und Handlungsempfehlung

Die Beantwortung der Frage, ob eine Entscheidung überhaupt der business judgement rule unterfällt, ist einzelfallabhängig. Gerade in der aktuellen Situation müssen viele unternehmerische Entscheidungen getroffen werden. Sicher erforderlich ist für die business judgement rule die Schaffung einer ausreichenden Informationsgrundlage. Gerade durch den Umstand, dass sich die Entscheidungen in der Corona-Pandemie stark auf Prognosen stützen, verbleibt den Entscheidungsträgern ein weiter Ermessensspielraum, sofern die Entscheidungen nicht schlechthin untragbar sind, weil sie dem Unternehmen schon auf Grundlage der bei Entscheidung vorliegenden Informationen sicher schaden. Insoweit leben wir unternehmerisch in spannenden Zeiten, da die Kreativität der Entscheidungsträger gefragt ist.

In jedem Fall sollte der Entscheidungsträger die Entscheidungsfindung hinreichend dokumentieren. Die Geschäftsführer und Vorstände tragen die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen der business judgement rule erfüllt sind. Können Sie den Beweis nicht führen, kommt ihnen die Haftungsfreistellung unabhängig davon, ob objektiv die Voraussetzungen der business judgement rule vorlagen, nicht zugute. Da die Entscheidung erst nachträglich und damit zeitlich teils deutlich nach der eigentlichen Entscheidung überprüft wird, ist eine hinreichende Dokumentation des Sachverhalts, der zugrunde gelegten Informationsbasis sowie des gesamten Entscheidungsprozesses mit allen Abwägungen für eine Haftungsfreistellung in der Praxis von enormer Bedeutung.

 

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