HR.Law

Dürfen Tarifverträge für Leiharbeitnehmer vom Equal-Pay-Grundsatz abweichen?

14. Dezember 2022

 

– Und wenn ja, wieviel?

Das BAG hatte dem EuGH im Dezember 2020 verschiedene Fragen rund um die Abweichung vom Equal-Pay Grundsatz vorgelegt. Der Generalanwalt gab seine Schlussanträge im Juli 2022 ab. Nun steht die Entscheidung des EuGH am kommenden Donnerstag an.

Darum geht es

Das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sieht in § 8 Abs. 1 vor, dass Leiharbeitnehmer grundsätzlich zu den gleichen Bedingungen, beschäftigt werden müssen, wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers. Sie müssen insbesondere die gleiche Vergütung erhalten (Equal-Pay-Grundsatz). In § 8 Abs. 2 AÜG ist allerdings vorgesehen, dass durch Tarifvertrag für von diesem Grundsatz abgewichen werden kann.

Diese Möglichkeit gilt aber nicht unbegrenzt. Der Tarifvertrag darf beispielsweise weder den Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz noch den in einer Verordnung nach § 3a AÜG festgelegten Mindestlohn unterschreiben.

Die Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz darf außerdem grundsätzlich nur für längstens neuen Monate gelten.

Ein abweichender Tarifvertrag muss auch festlegen, dass und welche Vergütung dem Leiharbeitnehmer für die Zeiten zwischen seinen Einsätzen zu zahlen ist.

Ausgangspunkt für diese nationalen Regeln ist Art. 5 der europäischen Leiharbeitsrichtlinie (EG/2008/104). In Art. 5 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie findet sich der europäische Equal-Pay-Grundsatz. In Art. 5 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie wird den Mitgliedstatten gestattet, tarifvertragliche Ausnahme von dem Equal-Pay-Grundsatz zuzulassen. Dies darf aber nur unter Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer geschehen.

Das BAG hat zu diesen Regelungen verschiedene Fragen an den EuGH gestellt.

Im Kern möchte es wissen, unter welchen Voraussetzungen Tarifverträge von dem Equal-Pay-Grundsatz abweichen dürfen.

Dazu hat es im Grunde genommen folgende Fragen gestellt:

  1. Was bedeutet der Begriff „Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer“ in Art. 5 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie?
  2. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Tarifvertrag den Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer achtet?
  3. Müssen dabei nur abstrakt die tariflichen Arbeitsbedingungen geprüft werden? Oder müssen die tariflichen Arbeitsbedingungen und die Bedingungen der Stammarbeitnehmer des Entleihers verglichen werden?
  4. Darf ein solcher Tarifvertrag Abweichungen nur für unbefristet beschäftigte Leiharbeitnehmer vorsehen?
  5. Muss der Gesetzgeber Kriterien für die Achtung des Gesamtschutzes vorgeben oder darf er dies der Abwägungskompetenz der Sozialpartner überlassen?
  6. Falls der Gesetzgeber keine Kriterien vorgeben muss, dürfen die nationalen Gerichte abweichende Tarifverträge uneingeschränkt überprüfen?

Das sagt der Generalanwalt

Zusammenfassend schlägt der Generalanwalt folgende Antworten vor:

    1. Der Begriff „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ soll sicherstellen, dass eine Abweichung zum Nachteil der Leiharbeitnehmer durch Gewährung von Vorteilen ausgeglichen wird.
    2. Abweichungen vom Arbeitsentgelt können nur unter strengsten Anforderungen gerechtfertigt werden.

Die Nachteile und Vorteile des Tarifvertrags müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen.

Weniger Entgelt kann nicht durch ein Werbegeschenk ausgeglichen werden.

Ein um 50% gemindertes Entgelt kann nicht durch einen zusätzlichen Urlaubstag pro Jahr ausgeglichen werden.

  1. Bei der Prüfung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer müssen die wesentlichen Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer und der vergleichbaren Stammarbeitnehmer verglichen werden.
  2. Nein, Tarifverträge dürfen auch Abweichungen für befristet beschäftigte Leiharbeitnehmer vorsehen.
  3. Der Gesetzgeber muss keine detaillierten Kriterien für die Wahrung des Gesamtschutzes vorgeben, wenn dessen Einhaltung sichergestellt sind.
  4. Nationale Gerichte dürfen abweichende Tarifverträge auf die Einhaltung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern überprüfen.

Ausblick

Der Generalanwalt hat grundsätzlich erwartbare und nachvollziehbare Auskünfte gegeben.

Der EuGH folgt überwiegend – aber nicht immer – den Empfehlungen des Generalanwalts. Es bleibt daher abzuwarten, inwieweit er den Antworten und den Begründungen des Generalanwalts folgen wird.

 

Autorin: Dr. Martina Berenbrinker

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