HR.Law

Adios gelber Schein: die elektronische Arbeitsunfähigkeits-
bescheinigung kommt

04. Dezember 2022

Bereits im Jahr 2019 hat der Gesetzgeber entschieden, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) einzuführen. Nach mehrfachen Verschiebungen ist es am 1. Januar 2023 so weit: die eAU kommt. Zeit für Arbeitgeber und Beschäftigte, sich auf die neuen Anforderungen einzustellen und vorzubereiten:

Hintergrund

Die Einführung der eAU beruht auf dem Dritten Bürokratieentlastungsgesetz, das am 28. November 2019 im Bundesgesetzblatt (BGBl. 2019 I 1746) verkündet wurde. Ziel dieses Gesetzes ist es unter anderem „die mühsame „Zettelwirtschaft“ in vielen Bereichen zu erleichtern“.

Bisherige Regelung: Nur die Beschäftigten müssen aktiv werden

Bislang sind erkrankte Beschäftigte – losgelöst von der Frage, wie sie versichert sind – gemäß § 5 Abs. 1 EFZG verpflichtet,

  • dem Arbeitgeber ihre Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen und
  • am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über deren Bestehen sowie deren voraussichtliche Dauer vorzulegen. Auf Verlange muss die Bescheinigung auch früher vorgelegt werden.

Aus diesem Grund erhalten sie bislang von ihrem Arzt derzeit drei Ausfertigungen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU): eine zur Übermittlung an die Krankenkasse, eine für ihre eigenen Unterlagen und eine – ohne Diagnose – zur Vorlage beim Arbeitgeber. Letztere ist besser bekannt als „der gelbe Schein“. Sind sie länger erkrankt als dies im gelben Schein angegeben ist, müssen sie einen weiteren vorlegen. Nicht selten ist der Verstoß gegen diese Verpflichtung zur Vorlage der AU ein Grund für Abmahnungen und – bei Wiederholungen – Kündigungen.

Arbeitgeber hingegen müssen bislang nicht tätig werden.

Neuregelung: Mitteilungspflicht der Beschäftigten bleibt unverändert

An der in § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG geregelten Mitteilungspflicht der Beschäftigten ändert sich zum 1. Januar 2023 nichts. Auch nach dem 1. Januar 2023 müssen alle Beschäftigten dem Arbeitgeber also weiter jede Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilen.

Neuregelung: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

In Bezug auf die Verpflichtung zur Vorlage der AU gelten ab dem 1. Januar 2023 unterschiedliche Regelungen für unterschiedliche Beschäftigte:

Gesetzlich Krankenversicherte

Für gesetzlich krankenversicherte Beschäftigte, die einen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt aufsuchen, gilt – mit Ausnahme von geringfügig Beschäftigten in Privathaushalten – die Neuregelung zur eAU. Sie müssen gemäß § 5 Abs. 1a EFZG ihrem Arbeitgeber nach der Mitteilungspflicht keine AU mehr vorlegen, sondern nur noch ihre Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer von einem Arzt feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung aushändigen lassen. Die Papierbescheinigung für die Beschäftigten entfällt mithin nicht. Sie soll den Beschäftigten weiterhin als Beweismittel erhalten bleiben, etwa – so der Gesetzgeber – bei „fehlgeschlagener Übermittlung im elektronischen Verfahren“.

Abrufungsverpflichtung des Arbeitgebers

Um eine eAU zu erhalten, muss sodann der Arbeitgeber tätig werden. Dieser muss die durch den Arzt an die Krankenkasse übermittelte eAU mittels gesicherter und verschlüsselter Datenübertragung bei der Krankenkasse abrufen.

Aus der Bringschuld des Beschäftigten wird mithin eine Holschuld des Arbeitgebers. Dies stellt einen erheblichen Mehraufwand für Arbeitgeber dar. Denn ein regelmäßiger oder pauschaler Abruf durch Arbeitgeber ist nicht zulässig. Die eAU kann nur individuell für den jeweiligen Beschäftigten und den jeweiligen Zeitraum angefordert werden. So muss der Arbeitgeber beim Abruf jeweils den Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit konkret angeben. Auch eine Fortsetzungsbescheinigung wird nicht automatisch aufgrund der ursprünglichen Abrufung übermittelt, sondern muss vom Arbeitgeber erneut angefordert werden.

Mitteilungspflicht gewinnt an Bedeutung

Die Mitteilungspflicht bezüglich der Arbeitsunfähigkeit gewinnt in Bezug auf diese Gruppe von Beschäftigten mithin an Bedeutung. Denn Arbeitgeber können sich nur dann an die Krankenkasse wenden, wenn sie von der Arbeitsunfähigkeit durch den Beschäftigten erfahren haben. Zudem ist der durch die Beschäftigten angegebene Zeitraum von Bedeutung. Liegt der vom Arbeitgeber bei der Abfrage genannte Beginn der Arbeitsunfähigkeit mehr als fünf Kalendertage vor dem bei der Krankenkasse gemeldeten Beginn des Arbeitsunfähigkeitszeitraums, erfolgt laut der Ausführungen des GKV-Spitzenverbandes nämlich die Rückmeldung „4 – eAU/Krankenhausmeldung liegt nicht vor“.

Behandlung durch einen Privatarzt oder im Ausland: keine Änderung

Suchen gesetzlich Versicherte einen Privatarzt in Deutschland oder einen Arzt im Ausland auf, müssen sie sich weiter wie bisher auch eine Papier-AU für den Arbeitgeber ausstellen lassen und diese dem Arbeitgeber aktiv vorlegen. Die Regelungen zur eAU gelten für sie dann nicht.

Privat Krankenversicherte: keine Änderung

Auch für privat krankenversicherte Beschäftigte gilt der neue § 5 Abs. 1a EFZG nicht. Diese müssen sich mithin weiterhin wie bisher auch eine Papier-AU für den Arbeitgeber ausstellen lassen und diese dem Arbeitgeber aktiv vorlegen.

Konsequenzen für Arbeitgeber

Ausgehend von diesen unterschiedlichen Regelungen, müssen Arbeitgeber in der Personalabteilung ab dem 1. Januar 2023 mithin zwei unterschiedliche Prozesse und Abläufe in Bezug auf den Nachweis einer Erkrankung einführen und berücksichtigen.

Arbeitsvertragsgestaltung

Dadurch wird auch die Gestaltung von Arbeitsverträgen ab dem 1. Januar 2023 (noch) komplizierter. Möchten Arbeitgeber nicht einfach auf die gesetzliche Regelung verweisen, sondern diese – was in der Praxis häufig der Fall ist – im Arbeitsvertrag noch einmal aufführen, muss eine Unterteilung zwischen gesetzlich und privat Krankenversicherten vorgenommen werden.

Eine Anpassung sämtlicher Altverträgen ist aber nicht erforderlich. Bestehende Regelungen, wonach die AU vorgelegt werden muss, entsprechen in den Anwendungsfällen des § 5 Abs. 1a EFZG nicht länger den gesetzlichen Vorgaben und sind wegen des Verbots nachteiliger Abweichungen (§ 12 EFZG) unwirksam. In der Folge gelten sodann die gesetzlichen Regelungen. Gleichwohl kann es sinnvoll sein, die Regelung anzupassen, wenn ohnehin Änderungen an Altverträgen vorgenommen werden. Dies insbesondere deshalb, weil dann auch die Mitteilungspflichten noch einmal konkretisiert werden können.

Inhalt der elektronischen AU

Inhaltlich unterscheidet sich die eAU vom gelben Schein. Der Arbeitgeber erhält keine Informationen mehr über Name und Fachrichtung des behandelnden Arztes. Damit entfallen in Bezug auf gesetzlich Krankenversicherte, die einen Vertragsarzt aufsuchen, zukünftig die Informationen, die Arbeitgebern bislang im Einzelfall zur Begründung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit oder als Anlass für die Einbindung des medizinischen Dienstes (§ 275 Ia Nr. 1 lit. b SGB V) dienen konnten.

Abweichende Vereinbarung zulässig?

Arbeitgeber können mit gesetzlich Krankenversicherten Beschäftigten ab dem 1. Januar 2023 auch nicht wirksam vereinbaren, dass sie gleichwohl weiter die ihnen von einem Vertragsarzt ausgestellte AU vorlegen müssen. Denn nach § 12 EFZG kann von § 5 EFZG nicht zulasten eines Arbeitnehmers abgewichen werden.

Die „Bitte“ an die Beschäftigten, die AU „freiwillig“ vorzulegen, dürfte schon an der Freiwilligkeit scheitern und sollte daher ebenfalls unterbleiben.

Leistungsverweigerungsrecht

Der Arbeitgeber ist bisher gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG berechtigt, die Lohnfortzahlung zu verweigern, wenn Beschäftigte die AU nicht oder nicht rechtzeitig vorlegen. Eine Änderung dieser Vorschrift ist bislang nicht vorgesehen. Nach dem neuen § 5 Abs. 1a EFZG sind Beschäftigte aber nicht mehr zur Vorlage der AU verpflichtet. Mit der Verlagerung der Verantwortlichkeit auf den Arbeitgeber dürfte mithin auch das Leistungsverweigerungsrecht erlöschen.

Fazit

Während viele Personalabteilungen noch dabei sind, den mit dem NachwG einhergehenden Mehraufwand zu bewältigen, steht mit der Einführung der eAU die nächste Aufgabe vor der Tür. Arbeitgeber sind daher gut beraten, sich auf die Umstellungen vorzubereiten und die Einführung der eAU nicht zu unterschätzen.

 

Autorin: Lisa-Marie Niklas

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