Product Law News in a Nutshell

Ökodesign von Produkten im Fokus: 4 facts for take away

28. Juni 2023

In unserer Reihe „Product Law News in a Nutshell“ stellen wir regelmäßig neue Entwicklungen und Urteile im Bereich Produktsicherheit, Produkthaftung und nachhaltige Produkte vor. Die meisten dieser vielfältigen Neuerungen stammen aus der Feder der europäischen Institutionen. 

Bis 2050 soll Europa klimaneutral sein. Ohne konsequente Ressourcenschonung ist dies nicht möglich. Als zentralen Baustein des EU Green Deals hat die EU-Kommission daher schon früh den Fokus auf einen nachhaltigen Produktzyklus gelegt. Ökologisch nachhaltige Produkte sollen die Norm werden. Die neue Ökodesign-Verordnung wird zum neuen Leitstern des Produktrechts – und auf die Industrie kommen große Veränderungen zu.

 

  1. Zweck der Ökodesign-Verordnung
    Mit der geplanten EU-Ökodesign-Verordnung wird ein rechtlich verbindlicher und harmonisierter Rahmen geschaffen, um sicherzustellen, dass Produkte auf dem europäischen Markt nicht nur sicher sind, sondern zukünftig auch ökologisch nachhaltig gestaltet wurden. Verbessert werden sollen vor allem die Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Nachrüstbarkeit, Reparierbarkeit, Energie- und Ressourceneffizienz, Recyclingmöglichkeiten sowie der Einsatz von Rezyklaten.
    Diese Nachhaltigkeitsanforderungen sollen für fast alle physischen Waren gelten; ausgenommen sind Lebens- und Futtermittel, Arzneimittel und (voraussichtlich auch) Fahrzeuge. Damit wird die Ökodesign-Verordnung für die Industrie eine enorme Bedeutung haben – auch im Vergleich zu der bisherigen Ökodesign-Richtlinie, die allein für bestimmte energieverbrauchsrelevante Produkte gilt.
    Die spezifischen Nachhaltigkeitsanforderungen für die vielen einzelnen Produktgruppen, also welche neuen Vorgaben für die Produktgestaltung jeweils konkret gelten, werden von der EU-Kommission noch in ergänzenden sogenannten delegierten Verordnungen festgelegt.
  2. Echtes Novum: Der digitale Produktpass
    Ein echtes Novum im Produktrecht ist auch der in der Ökodesign-Verordnung vorgesehene digitale Produktpass. Forderungen zur Digitalisierung des Produktrechts gibt es seit Jahren, vor allem im Produktsicherheitsrecht; man denke nur an die Bücher mit langen Gebrauchsanweisungen in 20 Sprachen. Nun wird der digitale Produktpass erstmals im Rahmen der Ökodesign-Verordnung kommen: Auf einem Datenträger sollen Informationen wie etwa über die ökologische Nachhaltigkeit des jeweiligen Produktes bereitgestellt werden. Dies soll Verbraucher bei der Kaufentscheidung helfen, Reparaturen und Recycling erleichtern sowie die Rückverfolgbarkeit verbessern. Behörden soll der digitale Produktpass bei der Marktüberwachung unterstützen. Die genauen Vorgaben – zu der Art des Datenträgers, dem Umfang der Informationen, den Zugangsberechtigten usw. – stehen derzeit noch nicht fest. Auch sie werden später in den delegierten Verordnungen für die einzelnen Produktgruppen niedergelegt.
    Klar ist aber schon heute, dass der digitale Produktpass ausdrücklich analoge Informationen nicht ersetzen, sondern diese vorerst nur ergänzen soll. Die Chancen der Digitalisierung und Vereinheitlichung mit anderen produktrechtlichen Vorgaben werden vom Gesetzgeber daher (leider) nicht konsequent genutzt. Die Industrie wird sich beim digitalen Produktpass mit vielen unklaren praktischen Fragestellungen konfrontiert sehen.
  3. Verbot der Neuwarenvernichtung
    Ende Mai neu in den Entwurf der Ökodesign-Verordnung aufgenommen haben die Mitgliedsstaaten im Wettbewerbsrat zudem einen weiteren Vorstoß zur Verringerung des Abfallaufkommens. Ein sehr naheliegendes Potential der Ressourcenschonung liegt hier im Bereich der Vernichtung von Neuwaren, relevant vor allem auch im Online-Handel mit Retourenquoten von teilweise über 50 Prozent. Die EU-Kommission hatte hierfür bereits Transparenzpflichten und eine generelle Befugnis zum Erlass von Vernichtungsverboten im Entwurf der Ökodesign-Verordnung vorgesehen.
    Da die Textilbranche als viertgrößter Verursacher negativer Umweltauswirkungen und einem enormen Abfallaufkommen – 5,8 Millionen Tonnen Textilien werden in der EU jährlich verbrannt – derzeit besonders im Fokus steht, wurde auf Initiative des Wettbewerbsrats nun schon direkt ein Verbot der Vernichtung unverkaufter Bekleidung für große und mittlere Unternehmen in den Entwurf aufgenommen. Das Verbot wird 36 bzw. 48 Monate nach Inkrafttreten der Verordnung gelten. Stakeholder werden sich bis dahin nicht nur Gedanken machen müssen zu eventuellen Anpassungen an ihrer Retourenpolitik, sondern ggf. auch ihre Einkaufs- und Produktionsplanungen entsprechend überdenken müssen.
  4. Trilogverhandlungen starten
    Der Entwurf der Ökodesign-Verordnung geht nun, nachdem der Wettbewerbsrat seine „Allgemeine Ausrichtung“ veröffentlicht hat, in das sog. Trilogverfahren, in dem die Mitgliedstaaten, die EU-Kommission und das Europäische Parlament den finalen Entwurf verhandeln. Anschließend muss er noch im EU-Parlament und im Ministerrat verabschiedet werden. Da die neuen Vorgaben zum Ökodesign im Rahmen von Verordnungen niedergelegt werden, sind sie dann – anders als eine Richtlinie, die jeweils in nationales Recht umzusetzen ist – in allen Mitgliedsstaaten als unmittelbar geltendes EU-Recht anwendbar. Gerade auch in Bezug auf die delegierten Verordnungen für die einzelnen Produktgruppen, in denen der europäische Gesetzgeber voraussichtlich sehr tiefgreifende Vorgaben für die konkrete Gestaltung von Produkten treffen wird, sollten Stakeholder aus der Industrie den Gesetzgebungsprozess eng verfolgen und begleiten. Nicht nur um praktische und strategische Interessen einfließen zu lassen, sondern auch um die konkreten Auswirkungen der geplanten neuen Anforderungen auf die eigenen Produktlinien frühzeitig zu prüfen und eventuell notwendige Anpassungen am Produktdesign mit genügend Vorlauf vorzubereiten. Denn die Einhaltung der Ökodesign-Anforderungen wird kein bloßes „nice to have“ sein, sondern Voraussetzung für das rechtmäßige Inverkehrbringen der Produkte, sprich: Produkte, die den Nachhaltigkeitsvorgaben nicht (rechtzeitig) entsprechen, dürfen zukünftig nicht mehr verkauft werden.

 

Autorin:
Dr. Astrid Seehafer M.Sc.

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