Product Law News in a Nutshell

Die neue EU-Produktsicherheits-
verordnung: 8 facts for take away

09. August 2023

In unserer Reihe „Product Law News in a Nutshell“ stellen wir regelmäßig neue Entwicklungen und Urteile im Bereich Produktsicherheit, Produkthaftung und nachhaltigen Produkten vor. Die meisten dieser vielfältigen Neuerungen stammen aus der Feder europäischer Institutionen.

Eine der bedeutsamsten aktuellen Reformen im Produktsicherheitsrecht ist die Verabschiedung der sog. Produktsicherheitsverordnung (EU) 2023/988 (General Product Safety Regulation – GPSR), dem, wenn man so will, neuen „Allgemeinen Teil“ des europäischen Produktsicherheitsrechts. Am 12. Juni 2023 trat sie in Kraft und wird mit ihrem Geltungsbeginn am 13. Dezember 2024 die derzeit geltende Produktsicherheitsrichtlinie von 2001 ablösen.

Warum gibt es die GPSR und was ist neu? 8 facts for take away:

 

  1. Zweck und Anwendungsbereich
    Ziel der GPSR ist es, „die Funktionsweise des Binnenmarkts zu verbessern und zugleich ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten“. Es soll also die größtmögliche Produktsicherheit bei geringstmöglicher Beeinträchtigung des freien Marktes garantiert werden. Notwendig ist eine Überarbeitung des bisherigen Rechtsrahmens u.a. wegen der Entwicklung neuer Technologien und Online-Verkäufen.
    Die GPSR findet grundsätzlich Anwendung auf Verbraucherprodukte auf dem Unionsmarkt, mit einigen Ausnahmen wie zum Beispiel Arznei-, Lebens- oder Futtermittel. Gelten für ein Produkt bereichsspezifische Harmonisierungsrechtsvorschriften, wie etwa die Medizinprodukteverordnung, so gehen diese vor, sofern sie zu einer bestimmten Thematik bereits eine Regelung treffen. Von manchen Teilen der GPSR sind solche Produkte außerdem pauschal ausgenommen.
  2. Vereinheitlichung des Rechtsrahmens
    Die GPSR ist von dem Bestreben getragen, eine größtmögliche Kohärenz zu den bereichsspezifischen Harmonisierungsrechts- und Normungsrechtsvorschriften sowie zur EU-Marktüberwachungsverordnung zu schaffen und Lücken zwischen den Rechtsrahmen nach Möglichkeit zu schließen. Umgesetzt ist dies etwa durch die Einbeziehung des Fulfillment-Dienstleisters, die Festlegung des Zeitpunkts der „Bereitstellung auf dem Markt“ im Online-Verkauf auf den Zeitpunkt des Angebots, und eine extensive Verweistechnik wie in den Artikeln 16 und 23.
    Erwägungsgrund 3 begründet hiermit auch die Wahl des Rechtsinstrumentes einer Verordnung: Das Ziel der Kohärenz mit dem Rechtsrahmen für die Marktüberwachung von Produkten, die in den Anwendungsbereich der Harmonisierungsvorschriften der Union fallen, könne besser erreicht werden, wenn beide Bereiche von Verordnungen geregelt würden.
  3. Erweiterung und Neudefinition der Kriterien für die Bewertung der Sicherheit
    Für die Bewertung der Sicherheit von Verbraucherprodukten enthält Art. 6 GPSR einen neuen und umfassenden Katalog von zu berücksichtigenden Aspekten. Wann ein Produkt als „sicher“ gilt und wann nicht, soll damit gesetzlich konkreter beschrieben werden als zuvor – wobei es im Ergebnis natürlich noch immer eine Auslegungsfrage bleiben wird.
    Die altbekannten Kriterien wie die Eigenschaften des Produkts inkl. seiner Zusammensetzung und Verpackung, die Einwirkung des Produkts auf andere Produkte, wenn eine gemeinsame Verwendung vorhersehbar ist, die Aufmachung des Produkts und die Verbrauchergruppen, die bei Verwendung des Produkts einem Risiko ausgesetzt sind, bleiben nach wie vor relevant. Hinzu kommen etwa das Erscheinungsbild eines Produkts, wenn es Verbraucher dazu verleiten kann, es in anderer als der bestimmungsgemäßen Weise zu verwenden, sowie ggf. erforderliche Cybersicherheitsmerkmale und die sich entwickelnden, lernenden und prädiktiven Funktionen des Produkts.
  4. Neue Verpflichtungen für nicht harmonisierte Produkte
    Durch den weiten Anwendungsbereich und eine Ausweitung der Pflichten für verschiedene Wirtschaftsakteure kommen auch im nicht-harmonisierten Bereich insb. auf Hersteller neue Pflichten zu: So müssen sie in Zukunft, bevor sie ein Produkt auf den Markt bringen, eine genauer beschriebene interne Risikoanalyse durchführen, technische Unterlagen erstellen, öffentlich zugängliche Kommunikationskanäle für Beschwerden einrichten und ein internes Beschwerdeverzeichnis führen.
  5. Neue Verpflichtungen im Online-Handel
    Das europäische Produktsicherheitsrecht soll mit der GPSR endgültig im digitalisierten Zeitalter ankommen. Betreiber von Online-Marktplätzen müssen als neuer Pflichtenadressat deshalb u.a. eine zentrale Kontaktstelle für Marktüberwachungsbehörden und Verbraucher einrichten, über ein internes System zur Gewährleistung der Produktsicherheit verfügen und das Schnellwarnsystem Safety-Gate (früher: RAPEX) nutzen. Sie treffen außerdem umfangreiche Melde-, Informations- und Kooperationspflichten gegenüber den Marktüberwachungsbehörden.
  6. Notwendigkeit eines in der EU niedergelassenen Wirtschaftsakteurs
    Bereits seit Inkrafttreten der Marktüberwachungsverordnung im Jahr 2021 ist Voraussetzung für ein rechtmäßiges Inverkehrbringen bestimmter Produkte, dass ein in der Union niedergelassener, für das Produkt verantwortlicher Wirtschaftsakteur vorhanden ist. Diese Voraussetzung übernimmt die GPSR und dehnt somit den Anwendungsbereich der Regelung auf die ihr unterfallenden nicht-harmonisierten Produkte aus.
  7. Neue Anforderungen für den Umgang mit Produktrückrufen, auch für Online-Marktplätze
    Die GPSR sieht ein komplexes Produktrückrufsystem vor, das im Kern jedoch weiterhin auf die wesentlichen Schritte der unverzüglichen Korrekturmaßnahmen sowie Informierung von Verbrauchern und Behörden aufbaut. Die Verordnung sieht aber präzisierte Vorgaben etwa zur Rückrufanzeige vor: diese muss genauer vorgeschriebenen formellen und inhaltlichen Anforderungen genügen (u.a. mit dem Begriff „Produktsicherheitsrückruf“ überschrieben sein) und in einer für Verbraucher leicht verständlichen Sprache verfasst sein. Die Kommission soll im Wege eines Durchführungsrechtsakts ein Muster erstellen.
    In Folge eines Rückrufs muss der verantwortliche Wirtschaftsakteur den betroffenen Verbrauchern zudem „wirksame, kostenfreie und zeitnahe“ Abhilfemaßnahmen anbieten. Genannt sind die Reparatur, der Ersatz sowie eine angemessene Erstattung. Diese Vorschrift kann als eine Art Einzug des Mängelgewährleistungsrechts in das Produktsicherheitsrecht gelesen werden.
  8. Neue Meldepflichten bei Unfällen
    Hersteller sind künftig zur sofortigen Meldung von „Unfällen, die im Zusammenhang mit der Sicherheit von Produkten auftreten“ über das Online Kommunikationsportal Safety-Business-Gateway verpflichtet. Die Meldung richtet sich an die Behörden des Mitgliedstaats, in dem sich der Unfall ereignet hat. Nicht ganz klar ist die Reichweite dieser Regelung, die sich nach ihrem Wortlaut aber vermutlich auf Fälle von besonders schwerwiegenden Unfällen beschränkt. Die Meldepflicht dient insbesondere auch der Schaffung einer umfassenden Datensammlung, damit gefährliche Produktgruppen und Trends zukünftig schneller erkannt werden können.

 

Autorin:
Eva Ritte, M.A.

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